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Was ist ein Wunder?

Aktualisiert: 26. Sept. 2022


Ich glaube an Pink.
Ich glaube, dass Lachen der beste Kalorienvernichter ist.
Ich glaube ans Küssen, viel Küssen.
Ich glaube an die Fähigkeit, stark zu sein, wenn alles schief geht.
Ich glaube, dass glückliche Frauen die schönsten Frauen sind.
Ich glaube, dass morgen auch noch ein Tag ist – und ich glaube an Wunder!

Audrey Hepburn


Ich könnte kaum mit einem besseren Zitat zu diesem Begriff beginnen als mit diesem der zauberhaften Audrey Hepburn, die in ihrer Anmut und auch in ihrer geistigen Schönheit bis heute für viele auf der ganzen Welt vielleicht selbst als eine Art Wunder erscheint. Das Zitat schon ist anmutig und es ist zugleich humorvoll, bricht Bedeutungsschweres herunter und befreit es außerdem vom kirchlichen Wunderstaub. Es sind Sätze, die frisch sind und frei und voller Liebe zum Leben.


Und das ist schön.


Doch mal langsam. Denn was hier so leicht und nett klingt, hat einen verschlungen Pfad unterschiedlicher Interpretationen hinter sich, ohne selbst kaum je das Licht der Welt erblickt zu haben. Wie wunderlich. Heute würde man per Definition sagen: Ein Wunder ist ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich nicht erklären kann. Also etwas, das den Gesetzmäßigkeiten der Natur widerspricht und in Folge überrascht, oft erhofft wird oder unerwartet erfreut. Was das ist? Ich denke, jedem fällt schnell der ein oder andere wundersame Moment ein und meistens ebenso rasch oder rascher kämen fremde Wunder in den Sinn, historische, Wunder aus Büchern, vornehmlich aus der Bibel, beginnend schon vom Alten Testament an. Denn längst, ohne dass wir bekennend christlich sein müssen, ist das klerikale Gedankengut in den Urgründen unseres kollektiven Unterbewusstseins abgetaucht, ob wir wollen oder nicht und dort wimmelt es nur so von Wundern. Die Frage nur: von echten?


Tatsache ist, um so mehr ich mich dem Wunder nähere, um so mehr verschwimmt es in seiner Kontur. Ähnlich dem Glück, das wir ständig benutzen, ja, geradezu abnutzen, aber bei genauem Nachfragen kaum zu definieren wissen. Ähnlich auch mancher Redensarten, die wir zwar zielgerichtet verwenden, deren Ursprung wir aber häufig nicht kennen und würden wir manchen Ursprunges gewahr werden, lieber nicht mehr verwenden wollten. Sollte dies mit dem Wunder am Ende auch so sein? Gibt es so etwas wie ein Urwunder? Ein Wunder an sich? Um das herauszufinden muss ich die Zeit etwas zurückdrehen.


Was ist ein Wunder?


Ich gehe mal so weit zurück bis ich im frühen Griechenland bin und schaue in einen Raum, da der Himmel noch voller Götter hängt, Götter, die übel gelaunt donnern und blitzen und Fluten springen lassen. Ja, man musste sich als kleiner Mensch ganz schön vorsehen und alles, was nicht erklärbar, aber gewaltig daher kam, war auf jeden Fall etwas Göttliches. Man war im Stress mit dem Wundergebaren und unheimlichen Naturgetöse, erhebend war es sicher kaum und natürlich galt es, die Zürnenden milde zu stimmen. Als die Griechen aber in die Zeit des großen Nachdenkens kamen und damit dem Olymp immer deutlicher den Rücken kehrten, traten sie gleichzeitig aus dem Schatten dieser Wunderknechtschaft heraus. Erklärbarer wurden die wundersamen Phänomene zwar noch nicht, aber immerhin nun Gegenstand eifriger Erforschung. Begriffe des Lebens wurden plötzlich hin und her gewendet, immer wieder neu verstanden, definiert und leidenschaftlich durchphilosophiert. Das denkende Ich war erwacht. Sokrates, der zu Beginn dieser Bewegung leider gleich zu viele Fragen stellte, musste für dieses Wagnis noch den Giftbecher nehmen, doch seine Verurteilung zum Tode hielt nicht auf, was längst in Gang gekommen war: Die Wunder zerfielen immer häufiger zu einer mathematischen oder physikalischen Formel. Neue Modelle des Lebenssinns und der Lebensordnung wurden entworfen. Jeder wusste es besser als der zuvor und jenes: "Ich weiß, dass ich nichts weiß", hielt sich auch nicht so wirklich.


Natürlich konnte nicht alles geklärt werden. Ein paar Wunder blieben. Zum Glück bis heute. Doch da das Unerklärliche nun schon mal vom Himmel auf die Erde geholt wurde, entzündete es außer dem wissenschaftlichen Interesse auch den Ehrgeiz persönlicher Wirksamkeit. In der Zeit des Hellenismus etwa kannte man durchaus ein Wunderwirken wie das von Jesus. Viel Erstaunliches gibt es zu berichten: Glorreiche Beschwörungen, Totenerweckungen oder Teufelsaustreibungen, jede Menge Wunderheilungen nebst medizinischen Heilungen und die Herausbildung sogenannter "Gottmenschen". Was dann noch übrig blieb, nicht wissenschaftlich oder spirituell fassbar war, mit weiterhin unerklärlichen Naturerscheinungen zu tun hatte, nannte man schlicht Paradoxe. Dinge, die der Gewohnheit widersprachen. Im Lateinischen trennte man ähnlich das Wunder von der Natur und ließ stattdessen den Menschen selbst Wunder wirken. Nicht im Jesusstil, sondern als magische Volksbelustigung oder pompöser, im Bau gewaltiger Bauwerke. Namentlich die sieben Weltwunder. Im Mittelalter entstand dann noch das Wort mirakel, das sich bis heute etwa auch im Englischen, Dänischen oder Niederländischen findet. Hier unterschied man wieder zwischen einem von Gott erwirkten Wunder und sonstigen unerklärlichen Phänomenen. Diese sonstigen Phänomene wurden jedoch zunehmend suspekt oder suspekt gemacht und glitten in den Bereich des Satanischen ab. So konnten immer häufiger diejenigen, die Wundersames vollbrachten, ähnlich wie Sokrates, mit dem Leben bezahlen, da auch sie mit ihrem Wunderschaffen eine geltende Wirklichkeit und Autorität infrage stellten, bzw. eigentlich nur das taten, was sie immer taten. Und plötzlich gab es die bösen Wunder.


All dies nur als verdichtetes Schlaglicht auf die Historie, doch gerade genug, um zu zeigen, dass das Wunder fast nur im Auge des Betrachters durch die Zeiten glitt. Ein sich immer wandelndes Höhlengleichnis und Spielball der Interessen, Einstellungen und Erfahrungen. Die Kraft und Beweglichkeit, die dem Wunder innewohnte, machte sich allerdings keiner je so gut zu eigen wie die sich immer mehr entwickelnde Kirche. Das war nicht neu, nur neu in diesem Ausmaß. Indem man zum Beispiel die bis dahin geschätzten Heilerinnen verbrannte, erfand man das Spektakel böser Mächte, die mit dem Guten rangen. Fast wie im alten Griechischen Theater. Hier hatte man eine "Deus ex machina", die in der Lage war, ganz wie ihr Name sagt, einen Gott mittels einer kranähnlichen Hebevorrichtung, der sogenannten Theatermaschine, überraschend über das Publikum schweben zu lassen. Die Wirkung, das kann man sich vorstellen, war enorm und die symbolische Machtdemonstration antiker Göttervorstellungen gelungen. Natürlich stand dieser Effekt nicht für sich. Er war eingebunden in eine Idee und in eine dargebotene Tragödie, welche als Spiegeleffekt im Volk eigenen Schauder und Jammer in fremdem auflösen und lockern sollte. Blockbuster der Frühzeit. Nun also die Kirche. Auch sie entwickelte sich mehr und mehr zur großen Inszenierung. Auf diese Weise konnte das göttliche Wunder (das einst als nichtgöttlich durch die Griechen ja enttarnt war), wieder zurück in den Himmel und als Allmacht und einzige Wahrheit, gestärkt durch den Gegenspieler Satan die Geschicke, Sehnsüchte und Ängste des Volkes mit Nachdruck lenken. Das war perfekt. Die Geschichte der Griechen einmal um 180 Grad gedreht, aber von ihnen gelernt und den Donner wieder mysteriös und die menschliche in geistige Heilkunst mittels Wunderglaube umgewandelt. Wer nun die Kräuterfrauen und Heilerinnen vermisste, sollte sich einfach mal umgucken. Das Wunder wurde auf den Schlag inflationär. Der göttliche Geist war überall und er half, wo er konnte. Wem er nicht half, der glaubte wahrscheinlich nicht ausreichend an ihn. Am besten glauben konnten dies die Besten von den Besten, die Mystiker. Sie machten es vor und wollten darum auch ein besonders großes Stück vom Himmel. Kein Problem. Die Kirche tüftelte ein System aus, das vorgab, wie ein Leben auszurichten sei, damit eine richtige und glorreiche Heiligenvita daraus werden konnte. Natürlich war so eine Heiligsprechung war nicht ohne. Es gehörte viel Leid dazu und große Wunder. Eine Heilung oder eine spektakuläre Vision. Ganz in Jesusnachfolge. Bis heute gilt, um heilig zu werden braucht es zwei, um selig zu werden ein Wunder. Da ein echtes Wunder aber nicht einfach vom Himmel fällt, noch schwieriger nachzuweisen ist, kann man sich vorstellen, dass nachgeholfen werden musste. Freilich alles für eine gute Sache. Menschen mit Wundern sind Vorbilder für ein tugendhaftes und fügsames Leben, das nicht aufbegehrte. Das System funktionierte gut. Die Kirche wurde reich und mächtig dabei. Doch was kann man davon heute noch ernst nehmen, wie trennt man die Spreu vom Wunderweizen und wie schält man den guten Kern einer so ausufernden Bewegung heraus? Vor allem, wenn die Imagination der christlichen Schaumystik unser Bild bis heute fast reflexartig prägt und Orte wie Lourdes, die damit viel Geld verdienen, alles tun, damit dies so bleibt. Von einem "rosa Wunder", einer Bejahung des Lebens in seiner Ganzheit, welche das Leid annimmt, vielleicht transformiert, statt fortzaubert, keine Spur.


Als ich mich in meinem Studium der Mediävistik mit den Mystikern des Mittelalters beschäftigte, allen voran Heinrich Seuse, der am Bodensee wirkte, war ich damals vor allem über das unglaubliche Bemühen der Geistlichen irritiert, die Storyline eines künftig Heiligen zu erfüllen. Welch eine Exzentrik im Kleid der Demut. Größer und mächtiger sein als andere. Heiliger werden als Lebensziel. Was bleibt dann von einer wahren Gottsuche übrig? Oder waren diese Menschen nur Opfer der klerikalen Gewalt, Schausteller wider Willen? Gerne auch würde ich zum Beispiel Mutter Theresa, welche für ihre Taten heilig gesprochen wurde, als jemanden ansehen, der getrieben von großem Mitgefühl ihr Leben in den Dienst Notleidender stellte. Doch laut ihren eigenen, niedergeschriebenen Worten war es weniger das Mitgefühl als vielmehr die Ehre, die sie trieb. Die Ehre Menschen zu pflegen, die in ihren Augen durch deren schlimme Krankheit besonders nah an Gott und damit am Wunder waren. Die Jesusnachfolge. Leprakranke galten Mutter Theresea fast als Heilige. Sie zu pflegen gab einen Abglanz. Ich frage mich: Hätte Mutter Theresa ebenso inbrünstig auch anders leidende Menschen pflegen können? Also Nächstenliebe ohne geistlich übergeordneten Sinn? Und kann man dann diese Motivation egoistisch oder heilig nennen? Oder ist es egal, denn im Ergebnis hat Mutter Theresa, egal warum, Phantastisches getan? Jedenfalls gelang es der Kirche ein so starkes Feuer in den Menschen zu entzünden, dass sie zu Höchstleistungen fähig und bereit waren. Und das ging nur, indem man das Wunder ritualisierte, also verkleinerte, damit verfügbar machte und mit Botschaft und Drama aufblähte. Natürlich, auch andere Traditionen, spirituelle Kreise und Kulturen bedienen sich dem ritualisierten Wunder, arbeiten mit Symbolen und energetisch aufgeladenen Gegenständen, die dann echte oder stellvertretende Kraft besitzen, doch wohl kaum eine Glaubensgemeinschaft setzte ihre Mittel so egozentrisch und gewaltsam ein wie die Kirche, was in Glaubenskriegen, Hexenverbrennungen und der Gier nach Ablassbriefen gipfelte.


Eine sehr interessante Variante, sich eines Wunders, bzw. der Kraft Gottes zu bemächtigen, -wenn auch nicht in machtgierigem Sinne-, war das Verspeisen von auf Papier geschriebenen Bibelworten. Heilige Worte auf der Zunge zergangen, durch den Hals geglitten und im Magen aufgegangen, waren ein speziell praktizierter christlicher Ritus. Vermutlich darauf zurück gehend, dass Gott Josua, dem Nachfolger Mose, in der Bibel erklärt, wie er zu anhaltendem Mut für seine bevorstehenden großen Taten kommen könne. Nämlich indem er das Wort Gottes wie Brot langsam in sich aufnähme, bis es süß sei, und sich nach und nach im Körper verteile. Wieder und wieder solle er dies tun, so das Gebot, denn nur, wenn Josua unentwegt an seinen Herrn denke und an dessen Wort kaue, auf ihn vertraue, an ihn glaube, würde ihm alles gelingen. Die Mittel zu Transformation und zu Universal Screening waren also schon früh erfunden und sind nicht erst Stoff neuzeitlicher Chakachakatrainer oder Quantenphysiker.


Auch das Judentum kennt dazu eine Variante. Zum Erlernen der Buchstaben schrieb man mit Kreide Anfang und Ende des Alphabets auf eine Schiefertafel. Die ersten drei Buchstaben vorwärts, die letzten vier Buchstaben rückwärts. Sie wurden vorgesprochen, gelesen, schließlich mit Honig bestrichen und... hernach vom Schüler abgeleckt. Auf diese Weise lernte (oder lernt noch?) der Schüler das Alphabet auswendig und findet gleichzeitig einen Weg hin zu Gott. Wie wundersam. Genau genommen rückte das Wort Wunder hier sehr deutlich in die Rubrik Wunsch (Althochdeutsch wuntar) und könnte möglicherweise verwandt sein mit dem indogermanischen "uen" = verlangen. Wird spekuliert.


Ich würde sagen, dass Wunsch und Wunder ohnehin aus einem Stoff sind. Denn welch fröhlicher und zufriedener Mensch wünscht sich ein Wunder? In einem kirchlichen Bittbuch fand ich einmal den Eintrag: "Lieber Gott, heute ist mein fünfzigster Geburtstag und, wenn ich mir etwas wünschen darf, dann mach mich wieder jung und schön!" Solche Bücher sind voll von Bitten, hingetragen an Gott wie ein Wunschkonzert. Doch jenes Lass ein Wunder geschehen, lieber Gott! hat vermutlich schon jeder einmal gesagt! Oder? Gott und Wunder sind also über zwei Jahrtausende ineinander verschlungen. Und ich finde, man sollte diese wieder auseinander ziehen. Die reformistische Theologie griff in die Kategorisierung der Wunder insoweit ordnend ein, als dass sie die Auferweckung Christi zum Hauptwunder erklärte, in das alle anderen Wunder quasi eingewickelt wären. Aber das ist eher wie Unordnung stapeln statt Aufräumen und erinnert außerdem an den hyperaktiven Paulus, dem lediglich das als Wunder galt, was geistlicher Erweckung diente. Das Lila, es blieb fern. Und statt, dass sich ein neuer Begriffszugang erschlossen hätte, hat sich das christliche Wundermachen in die Sprache fest eingebrannt. Wunderschön, wunderlich, verwundern etc... sekundäre Worte mit neuem Eigenleben.



Interessant in diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass sich in China das Christentum immens ausbreitet. In den Jahren der Interviews in China erzählten mir die Menschen immer wieder, dass sie Christen seien. Manche erzählten es flüsternd, heimlich oder verschämt, im Nebenraum, fern des Gatten. Andere vehement und engagiert, die meisten aber sehr erstrahlend. Und nicht nur das. Sie hatten fast alle eine Geschichte dazu zu erzählen. In der Regel war es eine Stimme gewesen, die zu ihnen sprach. Meist Jesus. Doch kann das sein? So viel Jesus, der auf einmal den Innenräumen der Chinesen auf den Leib rückt? Ich besuchte darum in Peking einen chinesischen Theologieprofessor und Christentumsforscher. Für ihn war meine Beobachtung nicht neu und er bestätigte, dass es sich beim Christentum in China um eine Wunderreligion handle. Ob dies aber echte Wunder und Visionen seien, wie wolle man das wissen. Es ist an sich auch zweitrangig. Ein Wunder ist meist etwas Persönliches. Viel wichtiger finde ich die Frage: Wie kommt es, dass ein Land, das ohne Religion ist, auf einmal eine Kirche nach der anderen gründet und so viel registrierte Christen sein eigen nennt wie es Menschen in Deutschland gibt? Braucht Jesus neue Schäfchen, rekrutiert er selbst? Oder brauchen Menschen einfach Wunder, um ihr Leben zu meistern? Die Kirche im Mittelalter hat das Wunder als tröstendes Instrument für das leidvolle und sehnsüchtige Leben benutzt. Und das Leben in China ist auch kein Zuckerschlecken. In all den Interviews, die ich über fünf Jahre in China führte, gab es kaum jemanden, der sich nicht über mangelnde Zeit beklagt und nicht unter dem Druck von Gesellschaft und Arbeit und dem Lärm der Städte geächzt hätte. Viele träumten vom Aussteigen, von Klöstern, Einsiedeleien, der Natur, Rückzug. Glück. Endlich ein bisschen Glück. Möglich, dass die Sehnsucht nach der Innenschau die Spiritualität auf den Plan ruft und die Sinne für Übersinnliches öffnet. Möglich auch... der Professor hatte eine noch andere Antwort: Dass das Christentum selbst der Arzt ist. Denn in China sei das Christentum auf dem Land verortet, dort, wo es an Ärzten und Geld für selbige fehle. Versammlungsräume sind nicht vorhanden, aber Glauben. Glauben, der Berge versetzen und Gesundheit zurückgeben kann. Aberglaube, Sehnsucht, Projektion. Selbstheilung. Vertrauen. Daran ist nichts verkehrt. Wer heilt, hat recht, sagt man auch. Erwiesenermaßen hat die Verabreichung von Placebo in vielen Fällen ebenso viel Wirkung wie ein echtes Arzneimittel. Sogar dann, wenn die Patienten wissen, dass es ein Placebo ist. In den Städten jedoch, wo es intellektueller und darum aufgeklärter zugeht, so der Professor, sei man daher mehr dem ebenfalls erstarkenden Buddhismus zugeneigt. Was ich aus den Gesprächen bestätigen kann. So manche erzählten, sie hätten nach eingehender Prüfung beider Religionen am Ende den Buddhismus als intelligenter empfunden. Dennoch gibt es inzwischen in den Städten etliche Kirchen. Das Wunder ist in China also sehr nah am Wunsch oder vielmehr am Bedürfnis nach Nähe und Wahrgenommen werden orientiert. Jesus als der, der wertschätzt, wo man sonst nur beliebig funktioniert.


Es könnten noch vielerlei Streifzüge oder Vertiefungen meiner Überlegungen unternommen werden, die hier etwas wild durcheinander gehen. Ich selbst bin längst verwirrt: Habe ich demnach nur die Möglichkeit, das Wunder in kirchlicher Hinsicht zu verstehen oder es als nicht existent zu erklären, da seine Erschaffung ein Aberglaube, Placebo oder Politikum ist? Und alles ist erklärbar?


Gibt es am Ende gar keine Wunder? Auch keine pinken?


"Das sehe ich nicht so. Dass es keine Wunder gibt." Sagte ein Freund in einer Runde, da wir über das Wunder diskutierten. Spontan hatte zuvor auf die Frage Habt ihr ein Wunder erlebt? jeder sofort an Engel, Dämonen oder Geister gedacht und dergleichen Erlebnisse zum Besten gegeben. Ich habe sogar von Jesus berichtet. Und schon war die Assoziation zum Begriff Wunder direkt dort, wo der Text über die Jahrtausende durchgeglitten ist. Nur eine Frau in der Runde konnte damit wenig anfangen und sie war erstaunt über uns. Ihr fiel auf die Frage nach dem erlebten Wunder kein Spuk oder Übersinnliches ein, sie erinnerte den Tod ihrer Großmutter, den sie begleitet und als erhebend empfunden hatte. Damit jedoch markierte sie einen Unterschied zu den anderen Erzählungen, denn diese waren im Übergewicht. "Wie siehst du es denn?", fragte ich nun also meinen Freund.


"Naja... Für mich ist eben das ganze Leben ein Wunder."

Oh, Eine Antwort ohne Getöse. Eine simple Feststellung, die alles mit einschließt und zugleich keine Fragen mehr stellt. Sie schluckt auch all meine Überlegungen, macht sie irrelevant. Braucht keine Wünsche, nur Sein, Gewahrsein. Und hebt vor allem den Sterbemoment der Großmutter auf die gleiche Ebene wie ein unerwartete Erscheinung. Alles ist gleich. Gleich wunderbar. Ich bin wunderbar. Alle sind wunderbar. Und ganz ohne Gott. Ohne alles. Oder in allem ist Gott. Vielleicht auch so. Einfach, weil es ist. Pink oder nicht. So einfach kann es sein. So in echt demütig. Doch um dies nicht zu verschweigen: Die Kirche hat nicht immer das Unheil als Nachfolge Christi in den Himmel gehoben und das Wunder als Instrument benutzt, die Mühsal eines Lebens in Schach zu halten... es gab einst eine bemerkenswerte Todsünde, die achte, die man allerdings später aus der Bibel tilgte. Welche das ist? Es war die Sünde, NICHT glücklich zu sein. Man fand: Angesichts der Herrlichkeit von Gottes Schöpfung sei es unbedingt des Menschen Recht und Pflicht diese angemessen zu bejubeln und sein ganzes Leben als Geschenk und folglich Gottes Wunder zu betrachten. Es GAB diese lebensbejahende Betrachtung (wenngleich in göttlichem Sinn). Aber sie störte. Sie verschwand. Aus acht Todsünden wurden sieben. Wie sollte man Menschen im Mittelalter auch erklären, dass sie von Natur aus quasi glücklich seien, obgleich sie Hunger litten, froren, arm waren?


Daher, auf ihr Leute: Holen wir sie wieder zurück, jubeln wir, küssen wir, erschaffen wir die Wunder neu. Die Griechen, die Christen, die Menschen aller Länder aller Zeiten, sie sind allesamt der erstaunliche Teil einer Weltschöfpung und wer einmal das Bild einer menschlichen Zelle gesehen hat, wird bemerken: das Wunder liegt im Detail. Wir sind auf der Welt. Das allein ist erstaunlich. Und so schließe ich damit:


Ja, ich glaube auch, dass morgen noch ein Tag ist - Und ich glaube an Wunder. In Pink.


Simone Harre


Und Sie?




www.simoneharre.com


 


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