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Glück in Panama

Aktualisiert: 25. Aug. 2023




Das Glück... ich porträtiere es ja schon so lange. In Hunderten von Interviews in Deutschland und zuletzt fünf Jahre in China. Setze es in Wort und Bild. Strecke die Hand aus nach Begriffen wie Kohärenz, Embodiment, Transformation.

Bin ich dem Glück dabei auf die Spur gekommen? Der Ordnung des Seins und seines Ausdrucks im Leben? Kann man Glück definieren?


Ja. Nein. Wie könnte ich mehr wissen als die diskursiven Griechen vor 2500 Jahren? Die besonnenen Weisen des alten China. Die meditierenden Inder unter kraftvollen Bäumen? Oder der denkende Goethe? Goethes Faust? Hamlet? Ich bin dem Glück zunächst vor allem als Beobachter nahe gekommen. Habe Daten gesammelt, eine empirische Matrix des Glücks erstellt, aus Geschichten Gültiges abgeleitet, Grundmuster gefunden. Hellhörig, energetisch offen. Und ich habe gesehen, dass das Glück etwa in China nicht anders klingt und wirkt als anderswo. Im Kern. Des Systems und der Mentalität ungeachtet. Es stellte sich mir immer deutlicher als etwas Universelles und Simples dar, ganz gleich welch verzwickte, gedankenreiche oder leidvolle Geschichte dahinter steckte. Ähnliche Wege, ähnliche Gefühle, Schmerzen, Freuden, ähnliche Erkenntnisse. Und doch sagen die meisten Menschen mir in den Interviews: "Das Glück kann man nicht definieren, das ist individuell." Eine Antwort aus dem Zentrum des Egos heraus. Aber ... meinen die Leute dann das Glück an sich oder das Erleben von Glück? Meinen sie ihr persönliches oder das Glück allgemein? Denn das sind unterschiedliche Dinge.


Und auch das ist eine Frage: Kann ein Mensch, der sich um Glück keine bewussten Gedanken macht, trotzdem glücklich sein? Ist eine Annäherung an das Thema eines der Tiefe oder eines der Oberfläche? Muss ich intelligent und erfahren sein oder womöglich besser einfältig naiv? Muss ich überhaupt irgendetwas sein, irgendetwas tun? Das alles sind viele unterschiedliche Fragen und Perspektiven, die man diskutieren kann, doch will man Ergebnisse herbeizaubern, werden sie oft und schnell zu einer Art leicht zu konsumierender Glückssuppe verschmolzen, die irgendwie geschmacksintensiv aber zukunftsarm zusammengebraut ist.


Natürlich, wir sind Individuen und das Glück kennt so viele unterschiedliche Melodien wie Menschen Wege nach Rom wissen. .. .aber sehen diese Pfade wirklich so unterschiedlich aus und führen sie alle automatisch zum Glück? Zu dem Vollendeten, dorthin, wohin die Seele natürlicherweise und ganz von allein hinstreben soll, Sollte. Tut, So wie der Dalai Lama behauptet? Gibt es Irrwege? Rückschritte? Sackgassen? Oder ist auch jeder Irrweg und sei er noch so falsch, ein Weg und damit ein richtiger? Könnte es sein, dass alles Unglück und Böse dieser Welt seine eigne Folgerichtigkeit hat und wir ohne das Dunkle nicht das Licht zu sondieren wüssten? Sonnenuntergänge, Mohnblumenwiesen, das neue Auto, das neue Kind... das sind die individuellen Antworten, die auf die Frage nach dem großen Glückserlebnis erwähnt werden. Gut, ich registriere es. Lege es zu den anderen Autos, Immobilien, Beförderungen, Geburten und unabhängigen Leben in Freiheit und Unabhängigkeit. Aber es sind nicht jene Antworten, die ich suche. Ich suche die Geschichte der Menschen. Und in diesen stehlen sich jene zuvor erwähnten Objekte des Habens still und leise davon, werden obsolet, doch als Steigbügel in ein von innen leuchtendes Leben sind sie dennoch relevant, denn sie fördern den Knall herbei. Nun, oder schläfern ein. Das ist unsere Wahl. Unserer Weg.


Ich halte es also eher mit der Behauptung der Storyteller, wonach insbesondere die Heldenreise zum Glück führe. Odysseus, dessen Geschichte hierfür Namenspatron ist, hat für seine Heldenreise ziemlich lange gebraucht. Seine Wege waren ganz besonders irrig. Er zog vor allem viele fremde Menschen dabei durch und ins Unglück, richtete jede Menge Tod an. Eigentlich gar nicht "geläutert", nur nach einer wirklich langen "Odyssee" von Gefahren und Siegen endlich heimkehrend, wurde er dennoch als Hero gefeiert. Ich finde diese Geschichte als Grundlage der Gewinnung des rechten Wegs und Glücks sehr fragwürdig. Verstehe aber. Es geht um den Ruf und das Wagnis des Dramas. Auch um Schmerz. Diesen nicht wegzuschließen. Das Gold des Unglücks. Und das Aushalten. Ist mir alles aus den Geschichten meiner Gesprächspartner bekannt. Auch aus meinem Leben. Der Schubs aus der Komfortzone, die Konfrontation mit eingeschränktem Denken oder die Herausforderung eines Traumata, das Aufarbeitung will. Eine Heldenreise ist wirklich etwas, das uns voranbringt. Es ist egal, ob es eine große, lange oder viele kleine sind. Und es ist auch nicht so wichtig, ob wir dabei immer gute Menschen sind. Die Polaritäten zollen ihren Tribut. Die Polaritäten sind unser Potenzial des Erkennens. Und so gehen wir, wenn es gut läuft, auf einer Wendeltreppe, die von einem dunklen Raum in einen helleren Raum führt. Dort finden wir etwas, das vorher schon in uns war. Und komischerweise uns allen gehört. Licht ist nicht individuell. Nur sehen wir es jetzt besser. Der Unterschied.


Trauen wir uns nicht zu, dem Ruf zu folgen, hören wir gar keinen, so zeigt sich uns das Glück, wenn überhaupt, ziemlich flüchtig, momenthaft und eher äußerlich, dann sind wir vermutlich an der Norm orientiert und fühlen uns dennoch einzig, individuell. Sind wir mit dem Weg ins Feuer aber durch, erscheint uns vieles plötzlich klarer, Glück wird zu einer Art Konstante und Sichtweise, auch bei schlechten Gefühlen, löst sich vom Objekthaften und taucht in das Innerliche, das Selbst löst sich vom Ich. Vielleicht spüren wir sogar, dass wir nun Teil eines Ganzen sind. Nicht nur im Kreis der Menschen, die uns umgeben, sondern des ganzen Weltgefüges. Das Individuelle bekommt dann eine andere Note. Auch für meine Interviewpartner waren ihre Reisen und Wege oft eine anstrengende Schmiede der Seele. Ein Loslassen in die Ungewissheit. Wandlung. Neuland. Der Weg selbst letztlich ein Glück. Wenigstens in der Rückschau. Das Leuchten in ihren Augen wurde mir durch ihre Geschichte illustriert.

Und daher ja, viele Wege führen nach Rom, aber Rom selbst bleibt Rom und lässt sich auch nicht umbauen, egal, wer es wie erreicht. Lediglich die Erfahrung von Rom liegt im Auge des Pilgers, dessen Herz gekämpft hat. Der jeweilig empfindsame Blick, der Geist, das Gefühl, der Körper kann Konturen und Wirklichkeit verleihen und selbige in sich erfahrbar machen. Es ist wie das Glück als Monalisa an der Wand des Louvre. Für den einen die schönste Frau der Welt, für den anderen ein beliebiges Kunstwerk. Das Bild selbst interessiert sich nicht für den Betrachter. Es bleibt das Bild, egal wie es gesehen und bewertet wird. Es bleibt unveränderlich in seinem eigenen Wesen, wird nicht Kran oder Blume. Relevant ist lediglich, durch welche Türe ich zu ihm hintrete, wie viele Sichtfenster ich öffne und welche Lebendigkeit ich dabei zu einer Variante von Wirklichkeit mache, machen kann und welche sich dabei am wahrhaftigsten anfühlen wird.


Irvin D. Yalom, ein amerikanischer Psychoanalytiker, hatte einst verzweifelt über den Niederschriften nach therapeutischen Sitzungen gesessen. Oh, wie kann ich aufgrund von Aussagen und Interaktionen einer vorangegangenen Sitzung die Person festschreiben, ohne zu lügen, fragte er sich. Denn jede Formulierung, trotz oder gerade durch die Versachlichung, kam ihm auf einmal anmaßend und zu gering vor. Wie also, überlegte er, ließe sich der Käfig der Wahrheit öffnen? Seine Lösung war: Die Wirklichkeit literarisch zu dehnen und ihr damit mehr Spielraum zu geben. Tatsächlich ist es so, dass Menschen, deren Biografien literarisch (dramaturgisch) ausgearbeitet werden, oft staunen und dann sagen: "Woher konnten Sie das wissen?" Wenn ich selbst Textporträts schreibe, so erfinde ich zwar nicht, aber ich muss gewichten und verdichten und auch durch die Farbe der Erzählung eine Brücke zum Leser wie einen Rahmen bauen, der für sich spricht und Herausgeschnittenes dennoch im Hauptstrang durchscheinen lässt. Um das zu können, habe ich mir dann erlaubt, in die Person hineinzufallen und sie von innen heraus zu schreiben. So gehe ich durch ihre Möglichkeiten. Ein spannendes Szenario.


In der Geschichtsschreibung ist das nicht anders. Wir dürfen nicht dem Irrtum erliegen, dass diese eine Anthologie und Chronologie realer Ereignisse ist. Zum einen ist sie eine sehr kleine Auswahl, zum anderen mit einem sehr engen Blick und Absicht verfasst. Irvin D. Yalom hatte damals seinen Gedanken weiter gesponnen. Wenn es also nicht möglich war, so seine Überlegung, Realität zu bannen, zu umfassen, was dann tun? Er hatte eine Idee. Er bat eine Klientin, zu der er ein besonderes Verhältnis hatte, nach jeder Sitzung das aufzuschreiben, was sie währenddessen in sich still gefühlt, wahrgenommen und wie sich ihr die Situation dargestellt habe. Auch er wolle dies tun. Beide würden die Aufzeichnung des jeweils anderen erst nach angemessenem Abstand von Monaten später ansehen und vergleichen dürfen. Daraus ist ein Buch entstanden ("Jeden Tag ein bisschen näher.") Ein tolles Buch, welches dem Ringen um Wirklichkeit Ausdruck verleiht und zugleich das Scheitern aufzeigt. Wir lesen zwei völlig unterschiedliche Wahrnehmungen einer einzigen konzentrierten Sache, wobei sich der Psychiater zunächst etwas selbstverliebt in seiner Rolle als derjenige versteht, der mehr versteht und weiß, er ist ja der Führende, die Klientin die Folgende. Doch im Kontrast zu seiner zwar bedürftigen, doch ebenso intelligenten Klientin stehen seine Worte oft auf einer einsamen, hochmütigen Insel, die vieles nicht erfasst hat oder durch eine subjektive, voreilige, Voreingenommenheit Brille bewertet hat. Würden wir dieses Beispiel an Niederschrift nicht haben, und das haben wir normalerweise nicht, würde immer und wird immer die Betrachtung durch die Augen des Psychiaters mehr Gewicht bekommen. Er ist der Professionelle. Wenn also vermeintlich Objektives so sehr an tatsächlich Geschehenem vorbei gehen kann (von Zeugenaussagen kennt man dies schon), dann ahnt man, dass die Historie mehr Dimension haben wird als geschrieben steht und die Dichtung nicht weniger, sondern unter Umständen sogar mehr Räume öffnen kann, besonders wenn sie die Fakten dehnt und in der Spiegelung empathisch ist. Wie spannend. Das Experiment von Irvin d. Yalom ist simpel und genau darum so entlarvend und inspirierend. Es hat mich auch besser verstehen lassen, das Realität nicht immer und manchmal gar nicht mit Sachlichkeit zu tun hat.

So sehr wir also um Gestalt ringen, in Literatur, Kunst, Leben, auch im Glück, wir sind und bleiben Fragment. Wir packen nur an den Rändern. Deuten an, wo uns etwas berührt, fokussieren, verengen. Und das ist gut so. Es ist gut, dass unser Blick zwar eine Form gibt, aber sonst nur eine vage Durchlässigkeit des Ganzen und Großartigen vermag. Dass es ein Lodern und Sehnen zurückhält, nur gelegentliche Schlupflöcher für das Erkennen bietet, sich von anderen Blicken unterscheidet und sich dadurch zuverlässig noch jeder Definition widersetzt, aber Raum für persönlich Geniales lässt. Alles andere wäre Himmel, wäre Tod. Wir wären nicht mehr Erfahrung in all den notwendigen Höhen und Tiefen. Wir wären ein heiliges Selbst oder schon jetzt ein Weltwir in jedem Winkel unseres Seins. Würden uns auflösen. In der Welt und miteinander ohne Reibung unendlich langweilen. Wie sollte das gehen? Wir sind ja noch Suchende. Eine blinde Interviewpartnerin sagte einmal dazu: "Dann wären wir schon im Ewigen, ich bin gespannt, wie das mal wird." Genau... WIRD. Nicht jetzt IST. Jetzt ist Glück in uns ein Sein, das gilt möglichst oft zu als Sein zu spüren, und im Außen ein Weg, der uns einlädt zu Wachstum und Freude und dass uns diese Sicht gelingen mag. Zwei Dinge, die verschmelzen können, aber nicht das Gleiche sind.


Unser eingeschränkter Blick ist daher nicht nur Hindernis, das Vollendete zu sehen, er schützt vor allem das Tor der Erfüllung, weil er uns erst einmal zu uns selbst zurück führen will, in die Selbstdefinition, und uns zu immer neuen Aspekten des Daseins einlädt, Das Glück gilt unserem Leben mehr als Auftrag. Es ist eine Fatamorgana mit partieller und momenthafter Erfüllung, und in dieser Erfahrung durchaus definierbar. Es erfordert dafür unseren Willen, Einsatz und Wagemut und macht Rom zu einem Irrlicht, das auf einen beherzten Spieler mit blanker Landkarte bzw. Spielkarte setzt. Der Weg ist das Ziel. "Oh wie schön ist Panama!" Auch dies ist ein Lehrstück, das ich nie vergessen habe. Denn Panama ist überall dort wo ich nicht bin und gleichzeitig dort, wo ich schon bin. Wie das Glück. Es ist unsere Sehnsucht. Grund zu gehen, zu träumen und zu sein. Manche Menschen machen sich die Mühe den Berg zu besteigen. Andere sagen, ich lass mir erzählen, wie es oben ist. Das macht unseren Unterschied. Das Glück liegt bei uns. Und in unserem Wagemut zu träumen.


Oder um es mit diesem Zitat zu sagen:

"Die Poesie ist der einzig konkrete Beweis für die Existenz des Menschen."

(Luis Cardoza & Aragon)




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