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Glück als Antwort

Aktualisiert: 28. März 2023

Beitrag zum Glück vom Stefanie Heidmann


Vor ein paar Tagen stand ich in einem Steinfeld, inmitten von unzähligen Feuersteinen, die von einer Zeit angespült wurden, die nicht die unsere ist. Das Steinfeld liegt nicht weit vom Meer entfernt, umringt von Wald. Geht man ein Stück an Kiefern, Birken, Adlerfarn, Heidelbeeren und Moosen vorbei, taucht es plötzlich auf wie ein Zen-Garten. Eine beinah unwirkliche Landschaft aus Steinen, aus denen Heidekraut und einzelne Sträucher und Bäume herausragen.


Es dauert nicht lang, bis mein Blick die Landschaft als Ganzes verlässt und bei den einzelnen Steinen landet, von Stein zu Stein streift, nach Besonderheiten Ausschau hält, einem Hühnergott vielleicht oder anderen außergewöhnlichen Farben, Formen und Strukturen. Dann plötzlich das Glück: Ich finde einen gebrochenen Stein. Alle seine Teile liegen vor mir wie bei einem dreidimensionalen Puzzle. Schon lange habe ich mir einen solchen Kintsugi-Stein gewünscht. Nun ist er da.


Glück? Während ich die Steinstücke aufhebe, um sie mitzunehmen in meine Kintsugi-Werkstatt, bin ich mit einem Mal unsicher: Ist das nun Glück? Oder Freude? Was eigentlich macht den Unterschied aus?

Wenn die Freude überschäumt, ist sie dann Glück? Oder wenn sie ruhig ist und tief?

Ich rufe mir verschiedene Situationen in Erinnerung, in denen ich ein ganz klares Gefühl von Glück hatte und mir fällt auf: Es ist die Antwort, die den Unterschied macht. An manchen Tagen streife ich durch Landschaften, kann sie wohl schön finden und dieses und jenes darin bemerkenswert, aber Landschaft und ich sind klar voneinander getrennt. Wenn ich dann etwas finde, diesen Stein zum Beispiel oder irgend etwas Anderes, was ich mitnehmen möchte, empfinde ich Freude darüber, aber kein Glück.


An anderen Tagen wiederum ist es, als sei ich Teil der Landschaft. Alles erscheint mir beseelt und beredt. Ich höre keine Stimmen und verstehe keine Wörter, aber es gibt dieses Gefühl. Die Landschaft fühlt sich an. Ich empfinde mich dann als Teil einer Beziehung. Georg Stenger würde diesen Zustand wohl als „Drinsein“ bezeichnen und Hartmut Rosa als „Resonanz“. Wenn ich dann etwas wie diesen Stein finde, erhält das Finden des Gegenstands die Bedeutung einer Antwort. Ich bin nicht nur um den Gegenstand reicher, sondern empfinde ihn auch als Teil einer Kommunikation mit meiner Umwelt auf einer nichtsprachlichen Ebene. Dadurch wird er für mich zu einem Geschenk und sein Empfangen zum Glück.


Ähnlich ist es mit Berührungen. Berühren meine Hände einen anderen Körper, kann es sein, dass ich Freude darüber empfinde, die Körperlandschaft zu entdecken und die Haut zu spüren. Zu Glück wird diese Freude, wenn mir der Körper antwortet, wenn das Gewebe weich wird unter meinen Händen, nachgibt, sich entspannt oder sogar einschmiegt in meine Handflächen, wenn sich ein Gespräch ergibt zwischen meinen Händen und dem anderen Körper.


Auch aus meiner Kintsugi-Werkstatt kenne ich diese Interaktion. Die Arbeit mit Urushi, dem Saft des japanischen Lackbaums, bringt es mit sich, dass ich ein Stück häufig in die Hand nehme, es immer wieder genau betrachte und betaste. Ich mache mich mit dem Stück und seinen Eigenheiten vertraut, um es so zu reparieren und zu gestalten, wie es dem Stück entspricht. Kintsugi ist eine hingebungsvolle, beinah meditative Arbeit. Das Anrühren der Klebe- und Ergänzungsmassen, das Verdünnen des Lacks mit dem Spachtel, das sorgfältige Reinigen der Pinsel, das aufmerksame Nachziehen der Linien und die vielen Schleifvorgänge haben einen sehr zeremoniellen Charakter, der sicherlich viel dazu beiträgt, dass ich mich ganz in die Arbeit an dem Stück versenken kann. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Gegenstand kommt es mir vor, als würde ich ihm einen Liebesdienst erweisen. Das macht Kintsugi für mich sehr beglückend.




Ist Glück also ein Wunder, etwas das einfach kommt, einfach da ist ohne mein Zutun, ohne dass ich es beeinflussen könnte?

Glück ereignet sich für mich in einem Zustand, in dem ich Grenzen und Andersartigkeiten nicht als solche wahrnehme. Ich bin dann einfach. Gemeinsam mit anderen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen teile ich dann einen Erfahrungsraum, in dem Resonanz möglich ist. Bezogen auf ein Tun lässt sich dieser Zustand auch als „Aufgehen in einer Sache“ oder als „Flow“ beschreiben.


Im Qigong, vor allem dank Dr. Zuzana Sebkova-Thaller, habe ich erfahren, dass es für dieses „Drinsein“ mein „Ja!“ braucht, mein Mich-Einlassen, meine Hingabe. Für Kinder ist das etwas ganz Natürliches. Wenn sie spielen, sind sie ganz „drin“. Als Erwachsene müssen wir das oft neu lernen.


Das eigentliche Wunder ereignet sich, wenn ich mich mit einem „Ja!“ dem „Drinsein“ überlasse. Dann wird jede Antwort selbst zum Glück.


Stefanie Heidmann, geboren 1982 in Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern, war nach einer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin viele Jahre als Assistentin in der universitären Forschung tätig. Heute arbeitet sie freiberuflich mit Text, Kintsugi und als Qigong-Lehrerin in Peißenberg, Bayern. Für ihre künstlerische Arbeit mit der Kintsugi-Technik erhielt sie 2022 ein Stipendium des Freistaats Bayern im Rahmen des Programms „Junge Kunst und neue Wege“.


Danke für den schönen Beitrag. Ich freue mich über mehr Mutige!






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